Wer sich
über die Geschichte der Mühlentechnik orientiert, der wird finden, dass die
Kenntnis der Müllerei bis in die fernsten Zeiten zurückreicht. Es entstand
schon früh die Erkenntnis, dass das Getreide als solches dem Menschen nur wenig
nützt, dass es vielmehr erst durch geeignete Zerkleinerung zu einer dem
menschlichen Magen zuträglichen Nahrung wird.
Der Apparat,
der zuerst hierzu verwendet wurde, war ein Mörser, vermutlich von Stein, in dem
mittelst eines Stössels die Körner zerstossen wurden, aber dieses grobe und
mühselige Verfahren genügte nicht lange, und so ist man wohl bald zum Zerreiben
zwischen zwei flachen Steinen übergegangen.
Später wurde
eine Art Handmühle hergestellt, dadurch, dass man am Stössel eine Art Kurbel
befestigte, ähnlich den heutigen Gewürz- oder Kaffeemühlen, die von Mägden, vielfach
Sklavinnen, bedient wurden. Vermutlich hatte jede Haushaltung oder Familie
solche Handmühlen.
Bald mag man
darauf verfallen sein, das Geschäft des Mahlens in grösserem Umfange zu
betreiben. Man gab der Kurbel eine Deichsel und liess sie durch Pferde in
Bewegung setzen; es waren dies die sogenannten Rossmühlen.
Ein grosser
Fortschritt war offenbar die Ausnutzung des Wassers als Antriebskraft. Nach
neuester Forschung wird angenommen, dass horizontale Wasserräder schon etwa um
800 v. Chr. von den Chaldäern gebaut worden sind.
Die erste
Erwähnung von Wassermühlen in Europa findet sich bei Vitruvius, der unter
Julius Cäsar und dem Kaiser Augustus Baumeister war. Diese Wassermühlen wurden
zuerst in Rom angelegt an den Kanälen, die der Stadt das Wasser zuführten.
Schilderungen aus dem vierten Jahrhundert nach Christi sprechen schon von
Wassermühlen an der Mosel. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Wasserräder
besonders in Deutschland vervollkommnet.
Die im Strom
verankerten Schiffmühlen sollen eine Erfindung Belisars, des Feldherrn des
byzantinischen Kaisers Justinian I. sein, die in das Jahr 536 nach Christi
fiel, in Deutschland sind sie erst viel später bekannt geworden.
Als sich die
Müllerei als Handwerk immer mehr entwickelte, machte sich in Gegenden, in denen
keine Wasserkräfte zur Verfügung standen, das Bedürfnis nach Mühlen geltend,
und man verfiel auf die Idee, den Wind in den Dienst des Handwerks zu stellen.
Der Versuch gelang, und es entstanden die Windmühlen, die, anfänglich von ganz
einfacher Konstruktion, so nach und nach Verbesserungen erfuhren.
Man kann
annehmen, dass dem Mittelalter das Verdienst gebührt, das Zeitalter der
Einführung des heute noch bestehenden Zweistein-Systems von gleicher Grösse zu
sein.
Jahrhunderte
lang blieb die Müllerei auf der einfachsten Entwicklungsstufe stehen. Es lag keine
Veranlassung für die Müllerei vor, aus diesem engen Rahmen herauszutreten; die
Einführung der Zünfte und ihr Einfluss auf das Handwerk, ihre Rechte und Privilegien
trugen dazu bei, einen kräftigen, sesshaften Stand der Müller zu bilden; sie
hatten ihr Auskommen, die Ansprüche der Kundschaft waren bescheiden, und erst
nach dem dreissigjährigen Kriege, dessen Folgen neues Leben in Handel und Gewerbe
brachten, traten, wenn auch nur kleine, Veränderungen im Mühlenfach ein.
Während im
alten Europa das Zunftwesen die freie Entwicklung auch der Müllerei hemmte,
entstanden namentlich in Amerika, z. B. am Mississippi und in Pennsylvanien,
Hunderte von Mühlen, die in ihrer Einrichtung den europäischen weit überlegen
waren und erst nach und nach in Europa nachgeahmt wurden. Begründer dieser
Mühlen waren zwar Europäer, namentlich Deutsche, die dem Vaterlande den Rücken
gekehrt hatten und ihre Erfindungen dort, wo man ihnen genügende Mittel zur
Verfügung stellte, ins Praktische übersetzten.
Die Französische
Revolution, die auf allen Gebieten bahnbrechend war, beseitigte auch den
Zunftzopf. In diese Zeit fällt die Erfindung und Einführung des Zylindersteins
(Walzen), die Einführung der Seide zur Sortierung des Mahlgutes, die Einführung
der französischen Mühlsteine in der Schweiz wie in Deutschland und die
Verwendung von Dampfkraft in der Müllerei.
Die erste
Dampfmühle wurde im Jahre 1760 in England errichtet. Sie war anfangs noch recht
unvollkommen. Bald kamen Verbesserungen hinzu. Im Jahre 1786 wurde in London
eine Dampf-Kornmühle in Betrieb gesetzt, die zur vollen Zufriedenheit
arbeitete. Sie wurde aber am 3. März 1791 von übelwollenden und abergläubischen
Leuten in Brand gesteckt und dadurch zerstört. Später ist sie wieder aufgebaut
worden, und da sie erfolgreich konkurrieren konnte, wurden in England bald
weitere Dampfmühlen errichtet.
Amerika
führte Ende des 18. Jahrhunderts die gründliche Getreidereinigung ein, verwandte
bessere, teilweise schon französische Mühlsteine und war auf Ersparung der
Handarbeit bedacht. Frankreich hingegen hat den Ruhm, zuerst den
Turbinenbetrieb angewandt und dadurch erst die wirtschaftliche Ausnutzung der
Wasserkräfte begründet zu haben.
Die
Einführung der durch das Walzensystem bedingten Hochmüllerei, die in den
dreissiger Jahren des 19. Jahr-hunderts ihren Anfang nahm, gab den Anstoss zu
einer ungeahnten Umwälzung in der Müllerei. Diese Erfindung kann man mit Recht
die wichtigste in der Erfindung der Müllerei nennen.
Der wahre
Erfolg der Walzenmahlmaschinen konnte aber erst eintreten, als der Schweizer
Friedrich Wegmann, ein Mühlenbesitzer in Neapel, seine Verbesserungen anbrachte.
Wegmann ersetzte die in Österreich üblichen Eisenwalzen durch solche aus
Porzellan und gab nur einer derselben einen Antrieb, während die zweite infolge
der Reibung mitgeschleppt wurde. Diese Porzellanwalzenstühle
kosteten nur
den vierten Teil des Preises jener alten Stühle, deren beide Walzen je einen
eigenen Antrieb erfordert hatten; sie lieferten ein besonders schönes weisses
Mehl und vereinfachten die Putzerei in hohem Grade. Bei einem ungleich
geringeren Kraftbedarf war ihre Leistung gegenüber den alten Stühlen enorm
gesteigert.
Schritt für
Schritt mit der Verbesserung der direkten Vermahlungsmaschinen ging auch die
der Hilfsmaschinen ihrer Vervollkommnung entgegen. Jahrhunderte lang bildeten
Sieb und Beutel die einzigen Trennungsapparate, bis im Laufe des 19.
Jahrhunderts der Zylinder die erste technische Verbesserung bot. Nachdem auch
in diesem Punkte der Anfang gemacht, kam als Vervollkommnung der in Frankreich
üblichen sogenannten Chusseurs die Sichtmaschine, die mittelst Zentrifugalkraft
das Sichtgut dem Mantel in seiner ganzen Fläche zuführt, während bei den
Zylindern nur ein Teil der Sichtfläche in Arbeit tritt. Der grosse Aufwand an
Kraft und Seide sind jedoch Nachteile, die eine den Vorteilen entsprechende
Verbreitung der Sichtmaschinen nicht zuliessen ; ebenso haben die Plansichter,
deren Prinzip auf der einfachen Siebschwingung beruht, grosse Verbreitung
gefunden.
Im Allgemeinen
haben die meisten Erfindungen und Verbesserungen nur in grossen Mühlen Eingang
gefunden, während die kleineren heute noch ziemlich einfach in ihrer
Einrichtung sind.
Das Resultat
der Erfindungen und Verbesserungen in der Mühlenindustrie wird von Unternehmer-
wie von Arbeiterseite selbstverständlich verschieden beurteilt. Die Wirkungen
auf die Arbeiter sollen in einem besonderen Artikel behandelt werden, deshalb
sehen wir für den Moment davon ab, hierauf näher einzugehen. Nur so viel soll
hier gesagt werden, dass, abgesehen von einzelnen Fällen, wo den Arbeitern
Erleichterungen geschaffen wurden, im allgemeinen jedoch nur der Kapitalismus
den Genuss der Früchte derselben sich aneignen konnte; dem Arbeiter bieten sie
nur vermehrte Arbeit, grössere geistige und körperliche Anstrengung.
Dass die
Grossbetriebe in der Müllerei, welche sich alle Errungenschaften der Technik
zunutze machen können, auch in der Mühlenindustrie riesige Gewinne erzielen
können, dafür liefert von neuem die Ludwigshafener Walzenmühle ein Beispiel:
Der Warengewinn derselben im abgelaufenen Geschäftsjahr betrug 2,271,522 Mark
gegen 2,004,480 Mark, der Reingewinn belief sich einschliesslich 137,460
(168,767) Mark Vortrag auf 881,926 Mark gegen 493,406 Mark, woraus die
Verteilung einer Dividende von 10 Prozent (wie im Vorjahr) auf das
Aktienkapital von 3 Millionen vorgeschlagen wird.
Über die Zukunftsaussichten
spricht sich Gerhard Luther * wie folgt aus:
Es kann
nicht bestritten werden, dass sie (die Grossmühlen) in den für ihre Zwecke
günstigen Gegenden die Kleinmühlen völlig verdrängt haben oder noch verdrängen
müssen, während gut eingerichtete und richtig geleitete Mittelmühlen unter
ihrer Konkurrenz nur wenig zu leiden haben. Einerseits erfordern sie also
Opfer, anderseits aber ist mit ihrer Ausdehnung eine grosse Gesundung im
Mühlengewerbe erfolgt. Die Grossmühlen haben den Fortschritt in diese so
schläfrige Industrie getragen, und zwar in technischer und kaufmännischer
Hinsicht, sie haben also der aufblühenden Technik die Wege geebnet. Anderseits
haben sie einen anständigen kaufmännischen Geist in die Geschäftsführung
getragen, haben für eine Gesundung des Kaufvertrags-, Lieferungs-, Zahlungs-
und Kreditwesens gesorgt und somit zu einer Gesundung des ganzen Gewerbes
wesentlich beigetragen.»
Luther
resümiert seine Betrachtungen über die Zukunft der Grossmühlen Deutschlands
dahin, dass sie auf Grund ihrer ernsten Arbeit heute wohl in der Lage seien, die
Konkurrenz ihrer kleineren Genossen zu ertragen und vielleicht allmählich noch
eine etwas grössere Quote der Gesamtproduktion in sich zu vereinigen, besonders
wenn die Ausfuhrmöglichkeit der deutschen Mehle sich bessert.
Dass diese
Ausfuhrmöglichkeit in Bezug auf die Konkurrenz mit den schweizerischen Mühlen
sich gebessert hat, ersehen wir aus den Klageliedern schweizerischer Mühlenbesitzer.
Zu bemerken
ist hier noch, dass selbst die grösseren schweizerischen Mühlen nur Mittelmühlen
genannt werden können, im Vergleich zu den Riesenbetrieben in Deutschland,
Ungarn, Nordamerika etc.
Das, was
über die Zukunftsaussichten der Kleinmühlen Deutschlands gesagt wird, trifft im
Allgemeinen auch auf die schweizerischen Kleinmühlen zu. Soweit sie in der
eigentlichen Geschäfts-, und Konkurrenzzone mit grösseren Mühlen bezüglich der
Mehllieferung konkurrieren müssen, sind sie unrettbar verloren. An dieser
harten Tatsache wirkt nur etwas versöhnend, dass die Besitzer ihr Geschick
kennen und sich zeitig nach anderen Berufen umsehen können. Geschieht letzteres
nicht, wird also bis zum Zusammenbruch gewartet, so ist in der Ironie des
Schicksals meistens der Besitz daran schuld. Die Müller sitzen dann hartnäckig
auf der väterlichen Scholle fest, diese wird ihnen statt zum Segen zum
Hemmschuh, und erst die Gewalt der Zwangsvollstreckung kann sie veranlassen,
sich anderweitigen Lebensunterhalt zu suchen.
F. Th.
* Die technische und wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Mühlengewerbes
im 19. Jahrhundert. Leipzig. Verlag von Duncker u. Humblot