1910 Die technische Entwicklung der Müllerei - Mühlenkalender

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1910 Die technische Entwicklung der Müllerei

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Die technische Entwicklung der Müllerei
Die Mühlsteinfabrikation in La Ferté-sous-Jouarre.

Der folgende Artikel stammt aus der Zeitschrift
Gewerkschaftliche Rundschau für die Schweiz : Monatsschrift des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Band (Jahr): 2 (1910), Heft 4



Die technische Entwicklung der Müllerei.
Wer sich über die Geschichte der Mühlentechnik orientiert, der wird finden, dass die Kenntnis der Müllerei bis in die fernsten Zeiten zurückreicht. Es entstand schon früh die Erkenntnis, dass das Getreide als solches dem Menschen nur wenig nützt, dass es vielmehr erst durch geeignete Zerkleinerung zu einer dem menschlichen Magen zuträglichen Nahrung wird.
Der Apparat, der zuerst hierzu verwendet wurde, war ein Mörser, vermutlich von Stein, in dem mittelst eines Stössels die Körner zerstossen wurden, aber dieses grobe und mühselige Verfahren genügte nicht lange, und so ist man wohl bald zum Zerreiben zwischen zwei flachen Steinen übergegangen.
Später wurde eine Art Handmühle hergestellt, dadurch, dass man am Stössel eine Art Kurbel befestigte, ähnlich den heutigen Gewürz- oder Kaffeemühlen, die von Mägden, vielfach Sklavinnen, bedient wurden. Vermutlich hatte jede Haushaltung oder Familie solche Handmühlen.
Bald mag man darauf verfallen sein, das Geschäft des Mahlens in grösserem Umfange zu betreiben. Man gab der Kurbel eine Deichsel und liess sie durch Pferde in Bewegung setzen; es waren dies die sogenannten Rossmühlen.
Ein grosser Fortschritt war offenbar die Ausnutzung des Wassers als Antriebskraft. Nach neuester Forschung wird angenommen, dass horizontale Wasserräder schon etwa um 800 v. Chr. von den Chaldäern gebaut worden sind.
Die erste Erwähnung von Wassermühlen in Europa findet sich bei Vitruvius, der unter Julius Cäsar und dem Kaiser Augustus Baumeister war. Diese Wassermühlen wurden zuerst in Rom angelegt an den Kanälen, die der Stadt das Wasser zuführten. Schilderungen aus dem vierten Jahrhundert nach Christi sprechen schon von Wassermühlen an der Mosel. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Wasserräder besonders in Deutschland vervollkommnet.
Die im Strom verankerten Schiffmühlen sollen eine Erfindung Belisars, des Feldherrn des byzantinischen Kaisers Justinian I. sein, die in das Jahr 536 nach Christi fiel, in Deutschland sind sie erst viel später bekannt geworden.
Als sich die Müllerei als Handwerk immer mehr entwickelte, machte sich in Gegenden, in denen keine Wasserkräfte zur Verfügung standen, das Bedürfnis nach Mühlen geltend, und man verfiel auf die Idee, den Wind in den Dienst des Handwerks zu stellen. Der Versuch gelang, und es entstanden die Windmühlen, die, anfänglich von ganz einfacher Konstruktion, so nach und nach Verbesserungen erfuhren.
Man kann annehmen, dass dem Mittelalter das Verdienst gebührt, das Zeitalter der Einführung des heute noch bestehenden Zweistein-Systems von gleicher Grösse zu sein.
Jahrhunderte lang blieb die Müllerei auf der einfachsten Entwicklungsstufe stehen. Es lag keine Veranlassung für die Müllerei vor, aus diesem engen Rahmen herauszutreten; die Einführung der Zünfte und ihr Einfluss auf das Handwerk, ihre Rechte und Privilegien trugen dazu bei, einen kräftigen, sesshaften Stand der Müller zu bilden; sie hatten ihr Auskommen, die Ansprüche der Kundschaft waren bescheiden, und erst nach dem dreissigjährigen Kriege, dessen Folgen neues Leben in Handel und Gewerbe brachten, traten, wenn auch nur kleine, Veränderungen im Mühlenfach ein.
Während im alten Europa das Zunftwesen die freie Entwicklung auch der Müllerei hemmte, entstanden namentlich in Amerika, z. B. am Mississippi und in Pennsylvanien, Hunderte von Mühlen, die in ihrer Einrichtung den europäischen weit überlegen waren und erst nach und nach in Europa nachgeahmt wurden. Begründer dieser Mühlen waren zwar Europäer, namentlich Deutsche, die dem Vaterlande den Rücken gekehrt hatten und ihre Erfindungen dort, wo man ihnen genügende Mittel zur Verfügung stellte, ins Praktische übersetzten.
Die Französische Revolution, die auf allen Gebieten bahnbrechend war, beseitigte auch den Zunftzopf. In diese Zeit fällt die Erfindung und Einführung des Zylindersteins (Walzen), die Einführung der Seide zur Sortierung des Mahlgutes, die Einführung der französischen Mühlsteine in der Schweiz wie in Deutschland und die Verwendung von Dampfkraft in der Müllerei.
Die erste Dampfmühle wurde im Jahre 1760 in England errichtet. Sie war anfangs noch recht unvollkommen. Bald kamen Verbesserungen hinzu. Im Jahre 1786 wurde in London eine Dampf-Kornmühle in Betrieb gesetzt, die zur vollen Zufriedenheit arbeitete. Sie wurde aber am 3. März 1791 von übelwollenden und abergläubischen Leuten in Brand gesteckt und dadurch zerstört. Später ist sie wieder aufgebaut worden, und da sie erfolgreich konkurrieren konnte, wurden in England bald weitere Dampfmühlen errichtet.
Amerika führte Ende des 18. Jahrhunderts die gründliche Getreidereinigung ein, verwandte bessere, teilweise schon französische Mühlsteine und war auf Ersparung der Handarbeit bedacht. Frankreich hingegen hat den Ruhm, zuerst den Turbinenbetrieb angewandt und dadurch erst die wirtschaftliche Ausnutzung der Wasserkräfte begründet zu haben.
Die Einführung der durch das Walzensystem bedingten Hochmüllerei, die in den dreissiger Jahren des 19. Jahr-hunderts ihren Anfang nahm, gab den Anstoss zu einer ungeahnten Umwälzung in der Müllerei. Diese Erfindung kann man mit Recht die wichtigste in der Erfindung der Müllerei nennen.
Der wahre Erfolg der Walzenmahlmaschinen konnte aber erst eintreten, als der Schweizer Friedrich Wegmann, ein Mühlenbesitzer in Neapel, seine Verbesserungen anbrachte. Wegmann ersetzte die in Österreich üblichen Eisenwalzen durch solche aus Porzellan und gab nur einer derselben einen Antrieb, während die zweite infolge der Reibung mitgeschleppt wurde. Diese Porzellanwalzenstühle
kosteten nur den vierten Teil des Preises jener alten Stühle, deren beide Walzen je einen eigenen Antrieb erfordert hatten; sie lieferten ein besonders schönes weisses Mehl und vereinfachten die Putzerei in hohem Grade. Bei einem ungleich geringeren Kraftbedarf war ihre Leistung gegenüber den alten Stühlen enorm gesteigert.
Schritt für Schritt mit der Verbesserung der direkten Vermahlungsmaschinen ging auch die der Hilfsmaschinen ihrer Vervollkommnung entgegen. Jahrhunderte lang bildeten Sieb und Beutel die einzigen Trennungsapparate, bis im Laufe des 19. Jahrhunderts der Zylinder die erste technische Verbesserung bot. Nachdem auch in diesem Punkte der Anfang gemacht, kam als Vervollkommnung der in Frankreich üblichen sogenannten Chusseurs die Sichtmaschine, die mittelst Zentrifugalkraft das Sichtgut dem Mantel in seiner ganzen Fläche zuführt, während bei den Zylindern nur ein Teil der Sichtfläche in Arbeit tritt. Der grosse Aufwand an Kraft und Seide sind jedoch Nachteile, die eine den Vorteilen entsprechende Verbreitung der Sichtmaschinen nicht zuliessen ; ebenso haben die Plansichter, deren Prinzip auf der einfachen Siebschwingung beruht, grosse Verbreitung gefunden.
Im Allgemeinen haben die meisten Erfindungen und Verbesserungen nur in grossen Mühlen Eingang gefunden, während die kleineren heute noch ziemlich einfach in ihrer Einrichtung sind.
Das Resultat der Erfindungen und Verbesserungen in der Mühlenindustrie wird von Unternehmer- wie von Arbeiterseite selbstverständlich verschieden beurteilt. Die Wirkungen auf die Arbeiter sollen in einem besonderen Artikel behandelt werden, deshalb sehen wir für den Moment davon ab, hierauf näher einzugehen. Nur so viel soll hier gesagt werden, dass, abgesehen von einzelnen Fällen, wo den Arbeitern Erleichterungen geschaffen wurden, im allgemeinen jedoch nur der Kapitalismus den Genuss der Früchte derselben sich aneignen konnte; dem Arbeiter bieten sie nur vermehrte Arbeit, grössere geistige und körperliche Anstrengung.
Dass die Grossbetriebe in der Müllerei, welche sich alle Errungenschaften der Technik zunutze machen können, auch in der Mühlenindustrie riesige Gewinne erzielen können, dafür liefert von neuem die Ludwigshafener Walzenmühle ein Beispiel: Der Warengewinn derselben im abgelaufenen Geschäftsjahr betrug 2,271,522 Mark gegen 2,004,480 Mark, der Reingewinn belief sich einschliesslich 137,460 (168,767) Mark Vortrag auf 881,926 Mark gegen 493,406 Mark, woraus die Verteilung einer Dividende von 10 Prozent (wie im Vorjahr) auf das Aktienkapital von 3 Millionen vorgeschlagen wird.

Über die Zukunftsaussichten spricht sich Gerhard Luther * wie folgt aus:
Es kann nicht bestritten werden, dass sie (die Grossmühlen) in den für ihre Zwecke günstigen Gegenden die Kleinmühlen völlig verdrängt haben oder noch verdrängen müssen, während gut eingerichtete und richtig geleitete Mittelmühlen unter ihrer Konkurrenz nur wenig zu leiden haben. Einerseits erfordern sie also Opfer, anderseits aber ist mit ihrer Ausdehnung eine grosse Gesundung im Mühlengewerbe erfolgt. Die Grossmühlen haben den Fortschritt in diese so schläfrige Industrie getragen, und zwar in technischer und kaufmännischer Hinsicht, sie haben also der aufblühenden Technik die Wege geebnet. Anderseits haben sie einen anständigen kaufmännischen Geist in die Geschäftsführung getragen, haben für eine Gesundung des Kaufvertrags-, Lieferungs-, Zahlungs- und Kreditwesens gesorgt und somit zu einer Gesundung des ganzen Gewerbes wesentlich beigetragen.»
Luther resümiert seine Betrachtungen über die Zukunft der Grossmühlen Deutschlands dahin, dass sie auf Grund ihrer ernsten Arbeit heute wohl in der Lage seien, die Konkurrenz ihrer kleineren Genossen zu ertragen und vielleicht allmählich noch eine etwas grössere Quote der Gesamtproduktion in sich zu vereinigen, besonders wenn die Ausfuhrmöglichkeit der deutschen Mehle sich bessert.
Dass diese Ausfuhrmöglichkeit in Bezug auf die Konkurrenz mit den schweizerischen Mühlen sich gebessert hat, ersehen wir aus den Klageliedern schweizerischer Mühlenbesitzer.
Zu bemerken ist hier noch, dass selbst die grösseren schweizerischen Mühlen nur Mittelmühlen genannt werden können, im Vergleich zu den Riesenbetrieben in Deutschland, Ungarn, Nordamerika etc.
Das, was über die Zukunftsaussichten der Kleinmühlen Deutschlands gesagt wird, trifft im Allgemeinen auch auf die schweizerischen Kleinmühlen zu. Soweit sie in der eigentlichen Geschäfts-, und Konkurrenzzone mit grösseren Mühlen bezüglich der Mehllieferung konkurrieren müssen, sind sie unrettbar verloren. An dieser harten Tatsache wirkt nur etwas versöhnend, dass die Besitzer ihr Geschick kennen und sich zeitig nach anderen Berufen umsehen können. Geschieht letzteres nicht, wird also bis zum Zusammenbruch gewartet, so ist in der Ironie des Schicksals meistens der Besitz daran schuld. Die Müller sitzen dann hartnäckig auf der väterlichen Scholle fest, diese wird ihnen statt zum Segen zum Hemmschuh, und erst die Gewalt der Zwangsvollstreckung kann sie veranlassen, sich anderweitigen Lebensunterhalt zu suchen.
F. Th.
 
* Die technische und wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Mühlengewerbes im 19. Jahrhundert. Leipzig. Verlag von Duncker u. Humblot
 
 
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