Die schweizerischen Mühlensyndikate.
					
					
In dem
					Existenzkampfe, den die schweizerische Müllerei zu führen hat, wurden die
					Mühlensyndikate als ein hauptsächliches Rettungsmittel geschildert. In
					Tageszeitungen, periodisch erscheinenden Zeit- und Denkschriften hat besonders
					der Verband schweizerischer Müller die Notwendigkeit und Nützlichkeit
					der Mühlensyndikate gepriesen und unter anderem auch auf den grossen Wert hingewiesen,
					den diese Syndikate im Kampfe mit der Konkurrenz deutscher Mehle zu leisten
					berufen seien.
					
					
Die
					Mittelstandsretter sind nun wieder um eine Hoffnung ärmer geworden.
					
					
Die Auflösung
					der schweizerischen Mühlensyndikate, das ist die niederschmetternde Nachricht,
					die zu Neujahr gerade von der Seite verkündet wurde, welche sich nicht genug
					über die « gehässige Hetze gegen die schweizerischen Müller und insbesondere
					gegen die hier gegründeten Mühlensyndikate» entrüsten konnten.
					
					
Das am 1.
					Juni 1906 mit einem Aktienkapital von 1,8 Millionen Franken unter dem Namen«Vereinigte
					Mühlen A.-G. in Bern» gegründete Syndikat hat sich mit Schluss vorigen Jahres
					aufgelöst. Mit Neujahr wurde der Mehlverkauf den einzelnen Mühlen wieder
					freigegeben.
					
					
In
					einem Bericht der «Neuen Zürcher- Zeitung» spricht sich ein Fachmann in
					eingehender Weise über dieses Ereignis aus und prophezeit den übrigen
					Syndikaten dasselbe Schicksal.
					
					
Zum
					besseren Verständnis der Situation ist es wohl nötig, einen kurzgedrängten
					Rückblick zu tun.
					
					
In
					der Denkschrift des Verbandes schweizerischer Müller vom Juli 1908 wird das
					Dezennium von 1880 bis 1890 als die Blütezeit, der schweizerischen
					Mühlenindustrie geschildert.
					
					
Das
					sei umso bemerkenswerter, als gerade jene Epoche ausserordentlich niedrige
					Getreide- und Mehlpreise brachte. Hohe Preise seien demnach nicht unerlässliche
					Vorbedingungen für die Prosperität. Bei gleichen Getreide- und Mehlpreisen
					könne der Nutzen (richtiger ausgedrückt der Unternehmerprofit) je nach der Ergiebigkeit
					des Weizens ausserordentlich variieren. Die Schweiz sei bahnbrechend für das
					System der Hochmüllerei gewesen, und gerade diesem Umstande hätte die hiesige
					Mühlenindustrie ihre früheren Erfolge zu verdanken gehabt. Der günstige
					Geschäftsgang und die Notwendigkeit des häufigen Maschinenumtausches infolge
					neuer und verheissungsvoller Erfindungen erregten den Wunsch, mit jedem Umbau
					auch eine angemessene Vergrösserung der Mühlen durchzuführen. Mit jeder
					Geschäftserweiterung stieg der Verdienst (Unternehmerprofit) nicht nur um das
					Betreffnis des dazugekommenen Quantums, sondern um einen viel höheren Betrag,
					weil die Spesen der Vermahlung und des Verkaufes bei einem grösseren
					Mehlquantum prozentual viel niedriger waren, als bei den kleinen Mengen.
					
					
Diese
					verlockende Aussicht auf recht ansehnliche Ersparnisse barg aber auch den Keim
					einer Manie in sich, den Betrieb immer weiter auszudehnen; diese musste der
					Industrie verhängnisvoll werden. Die Vergrösserungen stiegen ins Unmässige und
					wurden auch dann noch fortgesetzt, als die ersten Anzeichen des beginnenden
					Niederganges bereits deutlich wahrnehmbar wurden. Mit der beginnenden Überproduktion
					wurde eine geradezu tolle Jagd nach dem Absatz in Szene gesetzt. Es war
					natürlich nicht mehr möglich, die Mahlprodukte im nächsten Umkreis abzusetzen,
					sondern es mussten weitentlegene Absatzgebiete aufgesucht werden, wo das
					Geschäft auch nur durch namhafte Unterbietung der eingesessenen Müller möglich
					wurde. Die grossen Frachtkosten und die schlechten Verkaufspreise bedeuteten
					für die betreffenden Mühlen empfindliche Verluste, die sie auf sich nahmen, nur um die volle Produktion
					aufrecht halten zu können.
					
					
Unter dieser masslosen Konkurrenz hatten
					auch die Bäcker zu leiden. Bestehende Bäckereien soweit sie nur einen
					irgendwie nennenswerten Verbrauch von Backmehlen aufzuweisen hatten, wurden im
					Preise hinaufgetrieben. Wo diese Taktik nicht ausreichte, wurden neue
					Bäckereien gegründet, oft durch junge Burschen, die der Lehrzeit kaum
					entwachsen waren und häufig gar keine eigenen Barmittel besassen.
					
					
Auch in der Mühlenindustrie Deutschlands
					sind dieselben Klagen laut geworden. Übrigens liegt es in der Natur der
					kapitalistischen Produktionsweise, dass sich diese Missstände in der einen oder
					andern Form auch in andern Industrien offenbaren, so zum Beispiel in der Brauerei-
					und Schokoladeindustrie.
					
					
Man darf sich auch nicht wundern, wenn es
					in der weiteren Schilderung heisst, dass alle Vereinbarungen, die lediglich die
					Festsetzung der Verkaufsbedingungen zum Zwecke hatten, kläglich scheitern
					mussten, solange die übermässige Produktion den Müller nötigte, den Absatz
					unter allen Umständen zu erzwingen. Bei den schärfsten Konventionalstrafen war es
					nicht zu verhindern, dass die Vertragsbestimmungen umgangen wurden, sobald das
					Angebot die Nachfrage um ein Mehrfaches überstieg.
					
					
Man glaubte nun, dass das einzige Rettungsmittel
					nur noch die Produktionseinschränkung sein könne. Dazu bedurfte es aber
					einer Kontrollstelle, um den Verkehr zwischen Müller und Bäcker wirksam
					überwachen zu können.
					
					
So reifte - wie in der genannten
					Denkschrift weiter ausgeführt wird - der Gedanke an eine zentrale
					Verkaufsstelle für eine grössere Anzahl von Mühlen, und sie fand umso mehr
					Anhänger, als sich durch diese Einrichtung ganz gewaltige Spesenersparnisse
					erzielen liessen. Die Anzahl der Reisenden konnte auf ein Drittel des früheren
					Bestandes reduziert werden, das lächerliche Überbieten in Geschenken an die
					Käufer fiel ganz weg, und grosse Ersparnisse waren durch die Rayonierung des
					Absatzgebietes zu erreichen.
					
					
Welche Spesenvergeudung bei uns in der
					Schweiz herrschte, kann an dem Beispiel ersehen werden, dass es früher häufig
					vorkam, dass ein Müllerknecht mit 4 bis 5 Pferden zwei Tage unterwegs blieb, um
					einem Bäcker auf 30 bis 40 Kilometer Entfernung 50 Zentner Mehl zuzuführen!
					
					
Die Mehlverkaufszentralen glaubten nun die
					Situation retten zu können mit folgendem Programm: Völlige Ausschaltung des
					Einzelverkäufers, absolute Anpassung der Erzeugnisse an den Bedarf, Einhaltung
					einer mittleren und stetigen Preisbasis unter weitest gehender Spesenersparnis
					und Regelung der Kreditverhältnisse.
					
					
Nun haben
					bekanntlich die Syndikate, Kartelle und ähnliche Vereinigungen, wo es in ihrer
					Macht lag, sich die Aufgabe gestellt, die Preise in die Höhe zu treiben. Dass
					dies auch bei den schweizerischen Mühlensyndikaten zutreffe, wird in der
					genannten Denkschrift bestritten. Es wird behauptet, dass eine Preistreiberei
					von vornherein vollkommen ausgeschlossen werden müsste.
					
					
Welches
					sind nun die Gründe, die zum Zusammenbruch der schweizerischen Mühlensyndikate
					führten?
					
					
Vom Berner
					Syndikat wird darüber gesagt, dass es von vornherein an dem Übelstand krankte,
					dass sehr bedeutende Mühlen der Vereinigung ferngeblieben waren. Bei der
					bekannten Animosität der Bäcker gegen die Mühlensyndikate sei es vorauszusehen
					gewesen, dass die aussenstehenden Etablissemente ihre Produktion auf Kosten der
					Vereinigung steigern und im Gegensatz zu den wenig befriedigenden Erfolgen der
					Syndikate, recht günstige Resultate erzielen würden. Die aussenstehenden Mühlen
					seien von den Bäckern, auch bei gleichen Preisen, den Syndikaten vorgezogen worden
					; sie konnten daher die Produktion ohne jedes Preisopfer bis zur völligen
					Ausnützung ihrer Anlagen sukzessive steigern, während die syndizierten .Mühlen
					unter der deutschen Konkurrenz so sehr zu leiden hatten, dass ihre Produktion
					bis auf 50 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit zurückging. Solange noch die
					leiseste Hoffnung bestand, dass der Überflutung durch deutsche Mehle von Seiten
					der Bundesbehörden Einhalt geboten werde, habe man die empfindlichsten Verluste
					ruhig auf sich genommen und die wiederholten Versuche zur Sprengung- des
					Syndikates wurden von der Mehrheit der Aktionäre zurückgewiesen. Nachdem aber
					der schweizerisch-deutsche Mehlzollkonflikt, über welchen in einem besonderen
					Artikel noch gesprochen werden soll, dank der schwächlichen Haltung des
					Bundesrates mit einem Fiasko für die Schweiz endete, habe der Auflösungsgedanke
					immer mehr Anhänger gewonnen, und im Dezember 1909 erhielten diese endlich die
					Mehrheit. Für die schweizerische Müllerei sei der Mehlzollkonflikt endgültig
					erledigt.
					
					
Die «Vereinigten Mühlen in Zürich » werden
					als nächstes Opfer der Rückbildung betrachtet. Es gähre dort schon seit vielen
					Monaten, der Kampf werde sich nicht mehr lange fortsetzen lassen, weil die
					Wiedergewinnung der völligen Bewegungsfreiheit für die meisten bedeutenderen
					Mühlen eine Existenznotwendigkeit bilde, die auch, mit erheblichen pekuniären
					Opfern nicht zu teuer erkauft wäre. Gerade in Zürich hätten sich die Gegensätze
					infolge einer etwas zu schroffen Handhabung der Vertragsbestimmungen in einer
					Weise verschärft, die ein ferneres Zusammenarbeiten völlig aussehliesse.
					
					
Offen wird nun aus dem Lager der
					schweizerischen Grossmühlen zugestanden, dass deren Aufgabe es sein werde, auf
					Kosten der Produktion weniger leistungsfähiger Betriebe den Absatz für sich zu
					erobern.
					
					
« Ein grosser Teil des Konsums an Mehl ist
					an Deutschland endgültig verloren gegangen. Für die übriggebliebene
					Absatzmöglichkeit ist die Anzahl unserer Mühlen viel zu gross. Ein Teil muss
					also verschwinden um den übriggebliebenen die volle Ausnützung ihrer Anlagen zu
					ermöglichen, weil davon ihre Existenzmöglichkeit abhängt. Der Kampf um den viel
					zu kleinen Absatz kann aber vernünftigerweise nur auf Kosten des Preises geführt
					werden. Jede Preiskonvention würde diesen Kampf in unnatürlicher Weise
					verhindern und müsste deshalb scheitern. Die Krisis lässt sich durch
					Pflästerchen nicht verdecken. Der Kampf muss mit voller Ellbogenfreiheit
					geführt werden, und wenn viele der Kampfer auf der Wahlstatt bleiben, so muss
					man sich damit trösten, dass dadurch den Überlebenden die Existenzmöglichkeit
					geschaffen wird. Dem Verkaufssyndikat kann kein Preissyndikat folgen.»
					
					
So spricht sich der Gewährsmann der «
					Neuen Zürcher Zeitung » aus.
					
					
Die organisierten Arbeiter, besonders aber
					die Mühlenarbeiter, tun gut, diesem Kampfe ihre, grösste Aufmerksamkeit zu
					schenken. Den dem Ruin geweihten Kleinmühlen mit ihren verrotteten Lohn- und
					Arbeitsverhältnissen haben sie keine Ursache, nachzutrauern. Soweit sich aber
					diese traurigen Zustände auf die grösseren Mühlenbesitzer übertragen haben,
					muss die Arbeiterorganisation darauf hinarbeiten, sie zu beseitigen. Um diesen
					Kampf aber planmässig durchführen zu können, ist es vor allem nötig, einen
					Einblick zu tun in die technische Entwicklung der Mühlenindustrie und dabei
					sieh zugleich auch ein Urteil über die Ursachen und Wirkungen der Konkurrenz
					deutscher Mehle zu bilden. Das soll in weiteren Artikeln geschehen.     F. Th.