Ein Männlein geht im Mühlengrund
Nahe bei Herrischried, am Fuss des Riesenbühls, wo der Riesengeist umgeht, liegt die alte Fronmühle, die einst die Weissmühle hiess. Es war eine Klostermühle, die dem fürstlichen Damenstift Säckingen gehörte. Jahrhundertelang plätscherte der Sägebach, der vom Ortsteil Stehle und Säge fröhlich durch die Matten plaudert, über das grosse oberschlächtige Wasserrad. Ein kleines zottiges Männlein schleicht im Mühlengrund, wie eine der vielen Wäldersagen erzählt, um die Mühle, um die nahe gelegene kleine Kapelle und um des Nachbarn Hof. Dann trottelt es den uralten Weg hinauf und erscheint plötzlich wieder im Talgrund bei den Lochmatt-Höfen.
Die einen meinen, das Männlein sei ein Müller gewesen, der seinen Mahlkunden einen Wackenstein in den Mehlsack gesteckt habe, oder einer, der zwischen Tag und siesch mi nit einen Markstein versetzt hatte, um seinen Besitz zu vergrössern. Vielleicht, so meinen andere, ist es der blonde Mahlknecht, der einst in der Weissmühle gedient hatte. Der sang und pfiff den ganzen Tag zum Takt des Mühlrades, liebäugelte mit der jungen hübschen Meisterin, und diese lachte dazu. Eines Tages ging der Meister über Land. Bald liess der Mahlknecht Korn- und Mehlsäcke stehen und ging in die Stube zur Meisterin. In den Mahlgängen klapperte es hohl und leer und das Glöcklein mahnte unablässig: Körner, Körner, Körner, aber der Mahlknecht dachte nicht ans Aufschütten, und die Müllerin hiess den Knecht nicht gehen. Da flog plötzlich die Türe auf, und mitten in der Stube stand der Meister. Fluchend schlug er mit seinem knorrigen Buchenstecken auf Knecht und Weib ein und jagte beide aus dem Haus. Bis in die Nacht rief das Glöcklein vergebens nach Körnern. Mitten in der Nacht aber flatterte der rote Hahn auf das Dach der Weissmühle, und erst als die Mühle mit Gepolter einstürzte, verstummte das wimmernde Glöcklein. Als der Tag anbrach, war die Mühle ein rauchender Trümmerhaufen, und der Müller blieb für immer verschwunden.
Veröffentlicht in der Zeitschrift: „Vom Jura zum Schwarzwald : Blätter für Heimatkunde und Heimatschutz“ Band (Jahr): 82 (2008)