Das sagt meistens der Mediziner nicht, auch vielfach der Ernährungsbiologe nicht; das sagt auch nicht der Mensch mit schwachem Magen, nicht der verwöhnte Weißbrotesser, sondern zu diesem Urteil kommt derjenige, der auf den Nährgehalt sieht, der ein gesundes Verdauungsorgan hat, der sich klar macht, welche Werte allein durch das Mahlen der Stärke verloren gehen, derjenige, der auch Vitamine mit dem Brot auf¬nehmen will.
Die Notzeit des Krieges hat die Behörden veranlaßt, Weisungen heraus¬zugeben, die ein so weitgehendes Ausmahlen verlangen, daß der Bürger nur noch Vollkornbrot essen kann. Versteht auch der Bäcker seine Sache, dann entsteht ein Brot, das ein vollwertiges, kräftiges und wohlschmek- kendes Nahrungsmittel für jedermann sein kann und ist.
Auf nebenstehender Tabelle (Zahlen nach Berg-Vogel) zeigen die farbigen Streifen auf den ersten Blick die gewaltigen Nährstoffverluste bei denjenigen Mehlen, die auf die Kleie verzichten. Bis das feine, oft sogar noch künstlich gebleichte, weiße Semmelmehl aus der Mühle rinnt, hat man mit allen Mitteln der Technik (siehe Seite 39) diejenigen Teile des Korns entfernt, die nicht reine Stärke sind, soweit dies physikalisch möglich ist. Nur 30% des Korns werden als Mehl verwendet, das allerdings leicht verdaulich und sauber und schön ist und auch vom schwächsten Magen vertragen werden kann, da es den Darm nicht im geringsten reizt. Hier hat es sicher seine Bedeutung als Krankennahrung. Bedenkt man aber, daß z. B. gerade in der Schale die meisten Mineral-, also Geschmacksstoffe und die Vitamine sich befinden, dann muß der Verlust dieser Teile doch als schlechte Ausnützung bewertet werden.
Wird die Samenhaut des Korns mitgemahlen, dann wird das Mehl dunkler, damit auch das Brot. Wird die Rohfaser (Zellulose), auch diejenige der Zellwände im Innern, mitgemahlen, dann wird das Mehl rauher und übt im Darm eine für gesunde Verdauungsorgane sehr nützliche Reizung aus.
Bei der Reinigung des Getreides (siehe Seite 33) wurde auch der Keimling entfernt; denn er wird leicht ranzig, bitterschmeckend und verdirbt das Mehl. Es gibt aber Brotsorten, wo auch er nach einer beson¬deren Behandlung verwendet wird (Klopferbrot); denn er enthält Eiwei߬stoffe, Mineralstoffe, Fett, etwas Zucker — Vorräte für die neue Pflanze — und ist somit sehr wertvoll.
Bauernbrot war von jeher eine Art Vollkornbrot; zwar nicht reines, aber es wird seines Geschmackes und heute auch seines Gehaltes wegen hochgeschätzt.
Das Korn wird zerzaust
«So, meine Männlein, jetzt werden wir uns einmal ein Korn hernehmen und es nach allen Möglichkeiten säubern, auftun, zerreißen, bis wir tief im Innern das feine weiße Stärkemehl gefunden haben, das so gutes Brot gibt.
Sofort machten sich zwei Männlein daran, dem Korn die langen Haare auszuziehen, die wie kleine Röhren herausragten. Mit scharfen Messern wurde dann der schlafende Keimling losgetrennt und fortgetragen; der arme Kerl wird zugrunde gehen, wenn er seine Nahrung nicht mehr findet.
Zwei andere geschickte Männlein fangen an, mit den Messern die gelb¬braune Schale zu lösen; auch die muß weg.
Wieder andere haben das Korn geöffnet und zerren an einem feinen, schleierartigen Fadengebilde, das sie auch endlich herausbringen und fortschleppen.
Nun aber rieselt der feine, weiße Staub der ungezählten Stärkekörner aus dem zerfallenden Korn. Bald liegt von diesem nur noch ein schnee¬weißes Häufchen da, und daraus soll Mehl gemacht werden — so hat es das Obermännlein befohlen.
«Und nun, wie steht's? Seid ihr fertig, meine Männlein? Schaut das wunderbare feine Mehl, das muß ein herrliches Brot geben I»
«Herr Chef, ist es nicht schade für alle die abgerissenen Teile des Korns, die wir wegschleppten? Ich glaube, es hat dort drin auch gute Sachen?» — «Ich habe davon probiert, Herr Chef; der Keimling war ganz fettig, und Fett ist doch nötig I» — «Und ich finde, daß auch die Schale ganz gut schmeckt, so salzig und nicht nur fade wie die weiße Stärke I» — «Und, Herr Chef, wo haben Sie denn die Vitamine ? Ohne diese modernen Lebensstoffe kann man doch kein gutes Brot haben?»
«So, so, ihr, meine Männlein, ihr habt euch da allerhand gedacht bei der Arbeit; aber vielleicht habt ihr recht; ich will das einmal untersuchen und ausprobieren; das ist sehr wichtig.»
Das Obermännlein kam zur Einsicht, und nie mehr hat es verlangt, daß man dem Korn alle seine wichtigen Kleieteile wegreiße und fortwerfe.
Vom Ausmahlen des Roggenkorns