Die hydraulische Energie und die Entwicklung der hydraulischen Maschinen
Von Prof. R. DUBS. ETH. Zürich
Als Urquelle der hydraulischen Energie muss die uns von der Sonne zugestrahlte Wärmeenergie betrachtet weiden. Bei einer Oberflächentemperatur der Sonne von rd. 6000°C verliert die Sonne in der Sekunde rd. 4 Mio t an Masse, was einer Leistung von rd. 0,4 . 1024 kW entspricht. Da ja Wärme und Arbeit sowie Masse und Energie gleichwertig sind, so entspricht der Massenabnahme der Sonne eine Arbeit von rd. 3,5 . 1027 kWh oder 3,0 . 1030 kcal, welche Wärmemenge die Sonne Im Jahre in den Weltenraum hinaussendet. Von dieser gewaltigen Energiemenge trifft nur ein sehr kleiner Teil, d. h. rd. 0,2 . 1015 kW unseren Planetenraum, wobei bis zur Erdoberfläche wieder ein grosser Teil verloren geht. Man kann für die Erdoberfläche mit einer uns von der Sonne zugekommenen Leistung von rd. 60 . 1012 kW rechnen, was einer Jahresarbeit von rd. 500 . 1015 kWh oder einer Wärmemenge von rd. 400 . 1018 kcal entspricht. Dieser Energie verdanken wir das Leben auf unserer Erde. Die technische Verwertung der uns zugeflossenen Energie ist, wie man sich leicht überzeugen kann, eine verhältnismässig geringe.
Entsprechend meinem speziellen Fachgebiet will ich hier nur über die von der Sonne auf der Erde erzeugten Wasserkräfte sprechen. Im Gegensatz zu den sich nicht stetig erneuernden Energieträgern, wie z. B. Kohle und Oel, stehen uns die Wasserkräfte im ewigen Kreislauf zur Verfügung, und sie dürfen deshalb wohl zu den wertvollsten Energieträgern gerechnet werden, solange es noch nicht möglich ist, die durch die Kernspaltung erhaltene Nuklearenergie rationell in eine Form überzuführen, die zum Segen der Menschheit Verwendung finden kann.
Die Leistung der gesamten Flusswasserkräfte auf der Erde bei Niederwasser, d. h. bei kleinster Wasserführung, kann auf rd. 400 . 106 kW geschätzt werden, wobei ihre Verteilung über die Erde etwa die folgende ist:
Afrika 160 . 106 kW (Kongo allein 100 . 106 kW)
Amerika 100 . 106 kW
Europa 45 . 106 kW
Asien 90 . 106 kW
Australien 5 . 106 kW
Von dieser totalen Leistung sind bis 1946 nur rd. 60 . 106 kW ausgenützt worden. Es entspricht dies einer Jahresarbeit von rd. 200 . 109 kWh bei einer Ausnützungsdauer von rd. 3500 h im Jahr, d. h. rd. 9,6 h im Tag. Wenn alle Wasserkräfte der Erde ausgenützt wären, so könnte bei einer Betriebszeit von 3500 h im Jahr eine Jahresarbeit von 1400 . 109 kWh gewonnen werden. Die Wasserkräfte der Erde sind somit bis 1946 nur zu rd. 15% ausgenützt worden. Ende 1948 betrug die Ausnützung rd. 285 . 109 kWh.
Als weitere hydraulische Energiequellen, die in den oben-genannten Zahlen nicht enthalten sind, können die Gezeiten (Ebbe und Flut) sowie der Wellenschlag an den Küsten betrachtet werden. Es bieten sich jedoch noch andere Möglichkeiten für die Ausnützung von hydraulischer Energie, wobei vorläufig mehr des wissenschaftlichen Interesses wegen, folgendes fast phantastisch anmutende Projekt des Kraftwerkes Gibraltar erwähnt werden soll. Im Mittelmeer verdunsten jährlich rd. 4000 km3 Wasser, von denen nur rd. 1000 km3 durch die ins Mittelmeer fliessenden Ströme ersetzt werden. Das Manko von rd. 3000 km3 wird durch den Zufluss aus dem Atlantischen Ozean durch die Meerenge von Gibraltar ersetzt. Würde man diesen Zufluss sperren, so würde der Wasserspiegel im Mittelmeer jährlich um rd. 1,6 m fallen. Wenn es möglich wäre, die Höhendifferenz zwischen dem Atlantischen Ozean und dem Mittelmeer auf 200 m fallen zu lassen, so erhielte man bei einem Zufluss von Q = 90‘000 m3/s eine Leistung im Kraftwerk Gibraltar von rd. 150 . 106 kW. (Zahlen aus: «Betrachtungen über die Welt-Energieerzeugung- von Prof. Robert Dürrer, Heft Nr. 51 der Kultur- und staatswissenschaftlichen Schriften der ETH, Erweiterung der am 23. Februar 1960 an der ETH gehaltenen Abschiedsvorlesung).
Wenn man den Kreis der Wasserkräfte enger zieht und nur die Schweiz betrachtet, so ist zu sagen, dass die Sonne heim höchsten Stand in 15 min so viel Energie auf unser Land strahlen lässt, als heute die Jahresproduktion aller unserer Kraftwerke, die etwas über 10 Mrd kWh beträgt, ausmacht. Durch einen weiteren Ausbau unserer Wasserkräfte liesse sich mit guter Wirtschaftlichkeit eine Jahresarbeit von 27 Mrd kWh erzeugen. Es dürfte zweifellos sein, dass gerade für die Schweiz, die als Energieträger nur diese «weisse Kohle' besitzt, die rationelle Ausnützung ihrer Wasserkräfte von grösster politischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist. Von politischer Bedeutung, weil dadurch unsere Abhängigkeit vom Ausland wesentlich vermindert werden kann (man denke z. B. nur an den Bahnbetrieb) und von wirtschaftlicher Bedeutung, weil die elektrische Energie für uns ein wichtiger Exportartikel sein könnte, der vom Auslande begehrt ist.
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In Form von Wasserrädern und Schöpfrädern waren hydraulische Maschinen schon mehr als 200 Jahre vor Christi Geburt in Asien bekannt. Nach Afrika (Ägypten) und Europa (Balkan, Italien und Spanien) gelangten diese Maschinen etwas später. Das Bedürfnis nach Bewässerung und damit Fruchtbarmachung von ebenen Gebieten war der Grund zur Schaffung von Einrichtungen (Zisternen mit Kübeln, Schöpfräder, Wasserschnecken usw.), mit deren Hilfe es möglich war, das Grundwasser auf die Erdoberfläche zu heben. Der Antrieb dieser Einrichtungen erfolgte vorerst durch menschliche Kraft (Seilzug, Treträder), die später durch die tierische Kraft (Ochse, Esel oder Pferd am Göppel) abgelöst wurde. Zu jener Zeit wurden auch Mühlen grundsätzlich in gleicher Weise angetrieben, wobei sich jedoch im Laufe der Generationen und mit der Entwicklung der Menschheit immer mehr das Bedürfnis ergab, die menschliche und tierische Kraft durch eine stärkere zu ersetzen. Ein solcher Ersatz scheint in Form der Ausnützung der Wasserkraft in Europa zur Zeit Julius Casars (100 bis 44 v. Chr.) zuerst gefunden worden zu sein, denn der folgende poetische Erguss eines gewissen Antipater (Zeitgenosse des Cicero, geb. 106 v. Chr., gest- 43 v. Chr.) kann doch wohl in diesem Sinne gedeutet werden:
«Höret auf, euch zu bemühen, ihr Mädchen, die ihr in den Mühlen arbeitet,
jetzt schlaft und lasst die Vögel der Morgenröte entgegensingen ;
denn Ceres hat den Najaden befohlen, eure Arbeit zu verrichten :
diese gehorchen, werfen sich auf die Räder, treiben mächtig die Wellen und durch diese die schwere Mühle“.
Sicher ist, dass zur Zeit von Augustus (geb. 65 v. Chr., gest. 14 n. Chr.) schon Wasserräder zum Antrieb von Wasserhebeeinrichtungen benutzt wurden, wie sich aus Beschreibungen von Vitruv (unterschlächtiges Wasserrad) und Belisar (Schiffsmühle) ergibt. Um 380 n. Chr. findet man unter- und oberschlächtige Wasserräder in Frankreich, Deutschland und Böhmen, und zu jener Zeit dürften auch in der Schweiz die ersten Wasserräder zur Verwendung gekommen sein. Interessant ist (nachdem das Problem der Ausnützung der Gezeiten in unserer Zeit wieder aktuell geworden ist), dass schon um das Jahr 1044 in Venedig Wasserräder zur Ausnützung von Ebbe und Flut zur Anwendung kamen.
Die Konstruktion der ersten Wasserräder erfolgte rein handwerksmässig und oft auf Grund sehr primitiver Vorstellungen über die Wirkungsweise der dem Wasser innewohnenden Kräfte. Als wohl erste versuchten Leonardo da Vinci (1452 bis 1519) sowie Galileo Galilei (1564 bis 1612) und der französische Mathematiker Descartes (1569 bis 1650) konstruktive Verbesserungen zu finden, sowie eine Theorie für die Berechnung und Konstruktion der Wasserräder aufzustellen und Regeln für die Dimensionierung dieser Maschinen abzuleiten, ohne dass jedoch diese Bemühungen in der ausübenden Praxis irgendwelche Früchte trugen. Vom französischen Mathematiker Parent erschien 1704 eine Abhandlung über die günstigste Umfangsgeschwindigkeit eines Wasserrades, die jedoch auf unrichtigen Voraussetzungen beruhte, während Deparcieux im Jahre 1753 nachwies, dass - unter sonst gleichen Verhältnissen — ein oberschlächtiges Wasserrad besser sei als ein unterschlächtiges. Zu jener Zeit begann man auch schon mit der Durchführung von experimentellen Untersuchungen an ausgeführten Wasserrädern, wie die im Jahre 1759 von Smeaton und Bossut veröffentlichten Ergebnisse beweisen.
Eine richtige Theorie über die günstigste Umfangsgeschwindigkeit des Wasserrades wurde 1766 von Borda bekanntgegeben, während es bis 1825 dauerte, bis vom französischen Artilleriehauptmann Jean Victor Poncelet (1788 bis 1867) die Konsequenzen aus der Theorie gezogen und ein Wasserrad mit stetig gekrümmten Schaufeln vorgeschlagen und ausgeführt wurde. Das Poncelet-Wasserrad (Bild 1)