Ueber dem Stauweiher hinter der Mühle pfeilten Libellen mit
buntgläsernem Flügelglanz; Schilffähnchen zitterten, Krötenmütter hockten am
schlammigen Ufer, grünes Licht in den herausquellenden Augen. Im Holzkennel,
der das Tobelbachwasser aus dem Weiher je nach Bedarf auf das Schaufelwerk des
Mühlrades leitete, liess ich mancherlei aus Laub und Halmen gebastelte Schiffchen
schwimmen, denen ich bunte Käfer als Fahrgäste mitzugeben pflegte, was mir
heute noch leidtun kann, da wohl viele dieser kribbeligen und krabbeligen
Herrschaften einen vorzeitigen Tod dabei gefunden haben. Vor dem Eingang zum
Weiher, wo das in den Wellenberg einschneidende Tobelbachtal sich merklich
verengt, befand sich einer meiner liebsten Spielplätze, umrahmt von einem
Dutzend malerisch gekrümmter Wacholderbüsche und überragt von einem
vieltonnigen, auf einem abgeplatteten Steinsockel sich selbst im Gleichgewicht
haltenden Felsblock. Nach allen Seiten hing er über, und der Uneingeweihte
erwartete jeden Augenblick seinen donnernden Fall. Ich aber wusste wohl, dass
ich mich sogar rittlings auf ihn setzen durfte, ohne dass er ins Gampfe kam.
Meine Kräfte reichten keineswegs hin, den Steinklotz zum Gampiross zu machen.
Wie manches Mal sass ich auf diesem Luginsland und träumte zur Mühle hinab und
hinüber zum Dorf und hinaus auf das fruchtbare thurgauische Bauernland, das
dahinterlag mit dem Gold seiner Getreidefelder, dem Saftgrün seidiger Wiesen
und dem leuchtenden Braun seiner herbstlichen Kartoffeläcker!
Einmal ertappte mich der Müller Nepomuk dabei, wie ich, auf
dem Block stehend, mit schallender, aber nichts weniger als klangreicher Stimme
das Lied «Oh Thurgau, du Heimat» sang.
Da nahm Nepomuk sein Meerschaumpfeif eben, das er vor langen
Jahren auf der Walz einem duften Kunden abgejagt hatte, aus dem Mund. Ein ganz
apartes Pfeifchen, auf dessen klobigem Kopf die ulkige Geschichte vom Müller,
seinem Sohn und dem Esel dargestellt war, und zwar im dritten Akt, also da, wo
die beiden den Esel tragen.
Er lachte mit dem ganzen Gesicht, das fein und nachdenklich
war, dem alles gut stand, ausgenommen ein Urwald feuerroter Haare und zu Zeiten
ein gewisser, flackernder Jähzorn in den Augen, und meinte, über einen rostbraunen
Rohrkolben wegspuckend, der wie ein Tambourmajor an der Pforte des Stauheckens sich
strammte: «Du hast ja eine Stimme wie eine Hanfrätsche. Ganz wie dein
Grossvater selig. Der hat auch lieber nicht schön, als wie nicht laut gesungen.
Für solche Sänger lässt sich der Thurgau bedanken.»
Kaum hatte er dies gesagt, legte er sein tiefbraungebranntes
Pfeifchen auf den Felsklotz, und es musste einem wahr und wahrhaftig Wunder
nehmen, dass der Stein nicht ins Wackeln kam ob dem Gesang, den nun unser Müller
Nepomuk ertönen liess. Es war die Hymne an den Thurgau, im Steinkohlenbass gehalten.
Ich purzelte bei diesen tieffallenden Tönen förmlich vom Felsen herab und kam
dabei unter einen Wacholderstrauch zu liegen.
Als ich mich vom Sturz und vom Gesang etwas erholt hatte,
trumpfte der Müller auf: «Gelt, Bürschlein, jetzt weisst du, was Singen ist?
Potzblitz noch einmal! Dieses Thurgauerlied habe ich schon auf der Walz mit
Landsleuten im Ratskeller zu Bremen gesungen, geschweige denn in Rüdesheim, auf
den Landstrassen und in Herbergen der Nachbarländer. Wir haben die Heimat in
Ehren gehalten und manchen Römer auf ihr Wohl getrunken von Laubenheim bis
Meran hinunter.»
Darauf schnitt er einige Wacholderzweige ab, aus denen er
eine Wundertinktur gegen seine Leichdorne oder Hühneraugen zuzubereiten wusste.
Er hat mir damit seinerzeit auch Warzen vertrieben. Ueberhaupt war er mancher
besonderer Dinge kundig, die er auf der Wanderschaft in sich aufgenommen hatte.
Vom Aberglauben nicht unfrei, musste zum Beispiel der Stiel seiner Peitsche
stets aus Wacholder sein, damit niemand sein Wagengespann zu bannen vermöge.
Ausserdem sass ihm immer ein Brocken knorriges Wacholderholz als eine Art
Glücksbringer irgendwo in einer Tasche seines Kleides.
Die Dorfkirche betrat er höchstens bei feierliehen Anlässen,
weil ihn der etwas strenggläubige Pfarrherr einmal eben dieses Aberglaubens halber
zur Rede gestellt hatte.
Geschah es absichtlich, aus Zornmütigkeit, dass Müller
Nepomuk ausgerechnet am Sonntagvormittag während des Gottesdienstes Getreide
mahlte, dass das Geräusch der Mühle die Andacht störte, bis es ihm der
Statthalter verweisen musste? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass der
Jähzorn nach der Auseinandersetzung mit dem Pastor den Müller zu unbedachtem
Tun hinriss. Dass er auf dem Scheitstock in seinem Schopf mit dem Büschelmesser
seinen Filzhut in hundert Schnipsel zerstückelte, dass er am andern Tag den
Rücken seiner Zugkuh mit einem Emballagetuch überhängt hatte, als er mit einem
Füderchen Mehl durchs Dorf fuhr. Man munkelte, er müsse die roten und blauen
Striemen verdecken, die er in seiner masslosen Wut der unschuldigen Kuh beigebracht
hätte. Der Pfarrer, der davon hörte, vergewisserte sich der Malträtierung des Tieres
durch einen frommen Spion, und Müller Nepomuk wurde auf Grund der Tierschutzgesetze
empfindlich gebüsst. Von diesem Augenblick an aber hat man den Landgeistlichen nie
mehr im Tobelbachtal sich ergehen sehen, wie dem zuweilen früher der Fall war.
Ja, man entlud ein Gewitter auf sich, wenn man Nepomuk zu
nahe trat. Sonst aber konnte er der beste Mensch sein. Was aber den Glauben
anbetraf, habe ich nie jemand ehrfürchtiger von Gott und seiner Schöpfung reden
hören, wie gerade unsern Nepomuk. Seine Seele feierte ihre Gottesdienste im
Tobelbachwald, trank den Widerschein des Himmels aus dem zerfliessenden
Kristall des Tobelbachwassers. Er, der mit den Grundelementen allen Seins, der
mit dem Samenkorn, aus dem das Leben erblüht, auf du und du stand, dem Korn,
das golden durch seine Hand rollte und weisses Mehl wurde, aus dem man das
nährende Brot buk, war fromm, ohne es nach aussen hin aufzuzeigen. Die Taten
seines Jähzorns bereute er bitter. Stundenlang schlich er da durch die Mühle,
ohne etwas anzurühren. Unter den Alltagssorgen, die ihn zudem erdrücken
wollten, die wie Mehlsäcke auf ihm lagen, magerte er zusehends ab. Es hiess im
Dorf, dass über kurz
oder lang des Müllers Gewerblein auf Konkursgant kommen würde.
So war es auch. Obwohl die Müllerei einen erklecklichen Batzen
abwarf, so war dieser Batzen doch nicht gross und goldig genug, um das Schuldenloch
sichtbar zu stopfen. Stall und Felder aber warfen je länger je weniger einen achtbaren
Erlös ab. Wie konnten sie auch! Der Müller kümmerte sich blutwenig um sie,
schon weil er ganz und gar nicht zum Landwirt geschaffen war, und dann weil er
anfing, in ein Basteln und Erfinden hineinzugeraten, bei dem er sich einredete,
die Kunst der Müllerei viel einfacher gestalten zu können. Er sagte jedem, der
es ernstlich hören wollte, dass er eine das ganze Gewerbe revolutionierende
Erfindung gemacht habe, die er zur gegebenen Zeit patentieren und verwerten
lassen wolle. Das heisst, sobald sich ein Geldgeber als Interessent finden
lassen würde.
Die Bauern nannten sein Erfinden Zeitverplempern und meinten
damit den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Ja, sein Tun wurde ihm
geradezu als Narretei ausgelegt. Ich war damals zu klein, um viel von der Sache
zu verstehen, in die er übrigens keinen näher einweihte. Ich war glücklich,
wenn ich bei ihm sitzen, dem Radgetriebe zuschauen und dem Klipp-Klapp der
Mühle zuhören durfte. Leid tat er mir am meisten seiner Frau Susette halber, die
kränker und kränker wurde und das Geldlein, das der Müller noch aus seinem
Umtrieb herauspresste, dem Arzt hinlegen musste. Sie magerte zum Gerippe ah,
und wenn nachts ein heftiger Wind ging und ein Klottern und Klippern in der
Luft war, so meinte unser Nachbar Schuppli, der einem rauhen Witz nicht abhold war,
auf eine ganz andere Art: «Jetzt klappern die Gebeine der Susette wieder.» Nach
soleben Reden verschloff ich mich am liebsten unter die Bettdecke.
Eines Tages kam dann beinahe alles Eigentum des Müllers auf
konkursrechtliche Versteigerung. Das halbe Dorf war vor dem Schochen versammelt,
als die in jämmerlichem Zustand sich befindende Fahr- und Viehhabe, als die Felder
und Wiesen und zuletzt die Mühle und der Schochen selber mit dem Grossteil
seiner Ausstattung unter den Hammer kam.
Ich vergesse das Trauerspiel nie, das sich vor dem Schochen
abspielte. Der Haarschopf des Müllers wehte wie ein Brand durch das Haus. Ein
Hadern gegen Gott und Schicksal lag in seinen Augen. Wehe dem, der ihn jetzt gereizt
hätte! Er schien allenthalben gegenwärtig zu sein. Er half Tische und Stühle
herausschleppen, Schränke und Truhen vor die mutmasslichen Käufer hinstellen,
Töpfe, Schüsseln, Platten, Tansen und Mulden, Sensen und Sicheln, Kärste und
Würbe aufschichten. Viel altes Zeug immerhin, man fühlte, dass ihm dieses ihn
grausam enterbende Schicksalsspiel naheging.
Die Dorfweiber standen mit verschränkten Armen und klatschten
umher. Kein Kaffeebeckeli, das ihren scharfen Laueraugen entgangen wäre. Man
konnte sicher sein, dass jede der guten Basen noch nach Jahren wusste, was die
Susette alles in die Ehe gebracht hatte, oh die Suppenteller mit einem roten
oder einem blauen Blumenrand geschmückt gewesen wären, ob das Bett aus Eichen-
oder aus Tannenholz gezimmert gewesen sei. Jede suchte beider Gant auf ihre
Weise einen Schick zu machen und für wenig Geld ein Waschzüberchen, eine
Kupfergelte zu erhandeln. Indes lag die Müllerin hustend im Oberstock, und man
wusste nicht, ob sie noch einen Tag oder eine Woche zu leben hätte. Die
rasselnden und keuchenden Geräusche aus ihrem eingesunkenen Brustkasten waren
durch die geschlossenen Fenster des Krankenzimmers hindurch hörbar. Der alte,
struppige «Fleck», den der Gemeindediener aus dem Stall zerrte, drehte seine
traurigen Kuhaugen dem Fenster zu und lauschte auf den stickigen Husten der
sterbenden Frau, die er so gut kannte. Frau Susette, die eine Vorliebe für
dieses Tier gehabt hatte, wusste es immer so einzurichten, dass es ah und zu eine
Mohrrübe oder ein Tränklein für die dankbare Milchkuh absetzte. Der
Gemeindediener hatte seine liebe Mühe, die Kuh weiterzubringen. Breitbeinig,
störrisch, mit drohend erhöbenen Hörnern stand sie da, und lange Zeit wollten
weder Stockschläge noch gütliches Zureden etwas fruchten.
Ein Spekulant sicherte sich um einen Spottpreis den Schochen
und einige Jucharten Land. Es hiess, er wolle das Haus schleifen, abtragen
lassen und an seiner Stelle eine Wagnerwerkstatt für seinen Sohn einrichten,
was in die Augen sprang, wenn man bedachte, dass viele Kilometer weit im
Umkreis von Wellberghofen kein Wagner tätig war.
Als die Mühle zur Versteigerung kam, war ihr bisheriger
Inhaber wie vom Erdboden verschwunden. Es tat ihm viel zu weh, Zeuge ihres Verlustes
zu werden. Als man mit dem vom Müller ausgehändigten Schlüssel die Tür öffnen wollte,
war diese mit aller Mühe nicht aufzumachen. Da man den Müller vergeblich
suchte, wurde sie schliesslich eingedrückt. Als ein Müllermeister aus der
Nachbargegend nun versuchte, das Mühlwerk in Gang zu bringen, stellte sich heraus,
dass er nicht dazu fähig war, so wenig wie ein Mühleningenieur, der sich
vorlauten Mundes gerühmt hatte, Mühlen schwierigster und modernster
Konstruktion aufgestellt zu haben. Keiner vermochte auszutüfteln, woran der
Fehler liege. Endlich wurde der Müller aufgestöbert. Er war wie von Sinnen. Man
hatte ihn in der Kammer seiner Frau entdeckt und zwar im Augenblick, als diese
ihre müden Augen für immer schloss. Neben ihrem Bett hatte er auf einer
Stabelle gehockt, in dumpfer Verzweiflung, Schreie ausstossend wie ein gequältes
Tier. Willenlos war er dann dem Manne gefolgt, der ihn zu suchen beauftragt
war.
Und dann stand er in der Mühle, mit kalkweissem Gesicht und
irr flackernden Augen, das rote, zündende Haar wild aufgewühlt. Ein Hebeldruck
seinerseits und das Mühlwerk kam reibungslos in Gang. Alle schüttelten die
Köpfe. Auf die erbrochene Tür zutretend, liess er sich den Schlüssel geben und
siehe da — er funktionierte ganz vortrefflich. Mit einem harten, nur ungenügend
unterdrückten Fluch stapfte er alsdann dem Dorf zu, taub gegen alle Kondolenzworte,
verbohrt in seinen Schmerz, verschlössen gegen die Welt.
In der Wirtschaft zum Wellberghof, deren Gast er sonst nur
alle Schaltjahre einmal war, liess er sich am Tisch nieder und verlangte Wein.
Stillschweigend, brütend trank er einen halben Liter nach dem andern. Der Wirt
hätte ihm gerne alle weitere Tranksame entzogen, aber jede neue Bestellung war
mit einem derartig bösen, irrlichternden Blick begleitet, dass der Wirt sich
beeilte, den verlangten Wein vor den seltsamen Gast hinzustellen, der in seinen
roten Haaren und den Blitze schiessenden Augen einem wahren Teufel glich. Die
Bauern, die einkehrten, rutschten alle wie auf Verabredung weit von seinem
Stuhle ab. Jeder fürchtete sich, mit dem Müller anzubändeln. Derweil ging besonders
unter den Dorfweibern das Gerücht umher, der Müller hätte seine Mühle verhext
gehabt. Es musste also doch etwas auf sich haben mit seinem Aberglauben und
seinem geheimnisvollen Können, derenthalben er mit dem Ortsgeistlichen uneins
geworden war.
Gegen Mitternacht verliess der Müller das Gastlokal. Stieren
Blicks. Ohne Abschiedsgruss.
Am Tage der Beerdigung sah man ihn für zwanzig Jahre lang zum
letzten Mal in Wellberghofen.
Er sass in der Dämmerung in der kleinen Dorfkirche in einem
der hintersten Leidstühle. Das Trauerkleid schlotterte bedenklich um seine
Schultern, die unter einer unsichtbaren Last gesenkt waren wie zwei
Schrägbalken. In das sonst so feine und nachdenkliche Gesicht schlafften tiefe
Leidenszüge. Während der ganzen Abdankung und auch nachher, da er vom Hügel der
Toten Abschied nahm, hielt er die Augen nieder. Die aschgrauen Lider dämpften
so das Feuer, das unter ihnen brennen mochte. Kein Laut des Weinens kam über
seine zusammengepressten Lippen. Da sass er, ein Mann anfangs der Vierziger, an
den Bettelstab
gebracht, seines Weibes beraubt, insgeheim verlacht und als Narr gescholten
Seine Hand schloss sich um eine geschweifte Seitenlehne des altmodischen
Leidstuhls, als ob sie dieselbe zerbrechen wollte. Die Worte des Pfarrers waren
mild und trostsam wie das abgedämpfte Licht, das durch die Kirchenfenster fiel,
aber
da war wohl kein Wort, das bis zum Herzen des Geschlagenen vordrang. Der
besorgte Blick des Geistlichen, der Händedruck eines Nachbarn — alles liess ihn
gleichgültig, wie es scheinen wollte. Die Spindelgret, die sich nicht genug im
Herumspionieren von Haus zu Haus tun konnte, will den für die Welt Erstummten und
Ertaubten am Abend des Begräbnistages in der verkauften Mühle herumrumoren
gehört haben. Die Mühle sei in vollem Gange gewesen. Der Müller hätte die
Weiherschleuse gezogen und das Wasser in und über dem Holzkennel daherbrausen
und -strudeln lassen. Korn hätte er anscheinend keines zu mahlen gehabt, aber
ein Gepolter hätte die Müllerei erfüllt, ein Gerumpel und Spektakel, als ob
alle bösen Geister sich ein Stelldichein gegeben hätten. Zwischenhindurch sei
ganz deutlich das Jammern und Stöhnen des Müllers hörbar gewesen, der an den
mit Mehlstaub verwischten Fenstern hin- und hergespukt sei wie ein grauenerregender
Schatten.
Zwanzig Jahre lang blieb daraufhin der Müller Nepomuk
verschwunden. Er war gegangen, ohne abzuwarten, ob aus der Konkurssumme noch
ein Zehrpfennig für ihn herausschaue. Nichts hatte mehr sein Interesse an der
Heimat wachzuhalten vermocht.
Die einzigen Zeichen, die darauf schliessen liessen, dass der
Müller noch am Leben sei, waren die kostbaren Blumen, die er jeweils auf den
Todestag seiner Frau Susette an die Gemeinde abschickte. Fremdländische Marken,
polnische, ungarische, türkische klebten auf den Paketen, deren duftendem
Inhalt er nie ein Sterbenswörtchen beifügte ausser seinem Namen.
Es sind noch nicht gar viele Jahre her, da hielt eines Tages
ein vornehmes Auto vor der Wirtschaft zum Wellberghof, dem ein feiner Herr mit
silberhaarigem Kopf entstieg. Blitzblank spielten die Sonnenlichter eines
goldenen Herbsttages auf der eleganten Karosserie des Wagens, den bald genug
der Nachwuchs der Dörfler umzingelte.
Im Wellberghof tagte eben eine Gemeinde-Versammlung, als der
alte Herr mit kultiviertem Gesicht eintrat. Er setzte sich freundlich lächelnd
an den mit Sonnenkringeln überhüpften Tisch und bestellte einen Doppelliter besten
Weines für die versammelten Herren. Die dadurch aufmerksam gewordenen Bauern tuschelten
und werweisten unter sich, wer wohl der Fremde sein möchte. Keiner kam darauf wie
der Mauser Ludi, der einen Blick aus den Augen des hohen Gastes aufgefangen
und, in der Erinnerung kramend, ihn auch richtig ausgedeutet hatte.
«Das ist ja unser ehemaliger Müller Nepomuk,» orakelte er,
den Mund wie eine Mäusefalle aufsperrend und dem alten Wellenberghofener Bürger
mit dem randvollen Weinglas herzlich zuprostend.
Jetzt erinnerten sich die Älteren unter den Anwesenden mit
einem Mal ihres ehemaligen Dorfgenossen, der sich allerdings sehr zu seinem
Vorteil verändert hatte und, wie es schien, ein grosser Herr geworden war. Der
Fremde, der bis jetzt schweigend dagesessen und nur der Begrüssung durch den
Mauser Ludi mit einem bejahenden Kopfnicken geantwortet hatte, erhob sich und
begann allerseits Hände zu schütteln und anzustossen. Jedem wusste er den
rechten Namen auf den Kopf zuzusagen, sogar den meisten der Jungen, die er, wie
er es nannte, «dem Model nach einzuschätzen» vermochte auf ihre
Stammeszugehörigkeit hin.
Der Tag von Nepomuks Heimkehr bedeutete ein grosses Fest für
Wellberghofen. Es stellte sich heraus, dass er in den Jahren der Fremde durch
Auswertung einer seiner Erfindungen ein schwerreicher Mann geworden war. Jetzt
hatte er sich vom Geschäft zurückgezogen und gedachte, seine alten Tage im Ort
seiner Heimat zu verleben. Er liess verlauten, dass er die Mühle kaufen möchte,
um diese wohnlich auszubauen. Kaum hatte er diesen Wunsch geäussert, wurde es
sehr still am Tische. Er las in den gedrückten Mienen der Bauern, dass es wohl
mit dieser Mühle ihre eigene Bewandtnis habe, und tastete sich scheuen Wortes
vor, um den Grund der allgemeinen Kopfhängerei zu erfahren. Da wurde er denn
inne, dass der in einem wolkenbruchartigen Gewitter rasend gewordene Tobelbach
die Mühle weggeschwemmt und überdies unübersehbare Verheerungen im Tobel, in
Dorf und Feld, wo er mit seiner reissenden Flut in die Strassen frass,
Geschiebe ablagerte, Sand und Schlamm anhäufte, angerichtet hätte. Gerade diese
Katastrophe bilde das Hauptthema der heutigen Gemeindeversammlung. Die Sachlage
erheische es, dass baldmöglichst der Tobelbach korrigiert und verbaut werde, um
einem ähnlichen Unglück die Spitze abzubrechen. Der unvorhergesehene Kostenaufwand
der Gemeinde, der trotz dem üblichen Staatsbeitrag den Säckel zu leeren drohe, sei
schuld an der trübseligen Stimmung der Bürger. Man könne auch in Wellberghofen
die Fünfliber nicht so mir nichts, dir nichts aus
dem Aermel schütteln. Der Steuerkommissär schüttle einen sowieso, als ob man
ein märchenhafter Goldvögelbaum wäre.
Der silberhaarige Müller Nepomuk sass lange in tiefen
Gedanken verslinken vor seinem Weinschoppen. Sein Herz war bei der alten Mühle im
Tobelbachgrund, die das Wildwasser weggetragen hatte. Er sah sie ganz deutlich
vor sich, sah ihre liebevoll gegipsten Wände, die moosüberschoferten Schaufeln
des Mühlenrades unterm plätschernden Kennel und schien ihre Musik zu hören, die
ihm süsser war in all ihrer Monotonie, als die silberigste Weise einer
Spieluhr. Es war ihm, als müsste er ihr Sterben mitansehen, und das war fast so
schwer wie das Sterben seiner Frau.
Als Nepomuk endlich, alle schweren Gedanken abschüttelnd,
aufsah und die weltklugen Augen über seine Bauern spielen liess, fragte er, wie
nebensächlich den zunächst sitzenden Bauern die Gläser auffüllend, wie hoch sich
denn die Verbauung des Baches stellen werde. Der Vorsteher räusperte sich, und
dann rollte es wie Basstrompetentöne aus seinem Mund heraus: «Rund
fünfzigtausend Franken würde es die Gemeinde treffen.» Schwerer atmend hielt er
inne. Eine geraume Weile verharrte alles in einer peinigenden Stille. Dann aber
schlug es auf einmal wie eine Kartätsche mitten unter den Gästen ein. «Gut, so
trage ich die Kosten der Gemeinde — ich schulde ja wahrscheinlich der
Viehleihkasse und dem und jenem aus dem Konkurs noch ein paar Franken — und nichts
liegt mir näher und gegebener, als das Andenken an meine Mühle durch diesen
Beitrag in Ehren zu halten.» Schlicht, aus einem warmen Gefühl heraus,
bekräftigte Müller Nepomuk sein Gelübde durch Händedruck.
Man schied spät voneinander. Der zurückgekehrte Bürger und
Helfer in der Not beherrschte die Gemüter und war der Held des Tages. Müller
Nepomuk schlief im Vorsteherhause, vor dem rauschende Pappelbäume wie silberne
Raketen in den hellen Nachthimmel standen.
Wenn du heute in Wellberghofen vorbeikommst, so begegnest du
beim Brunnenplatz einem mächtigen, aus Steinquadern gefügten Herrschaftshaus
mit viel blankem Licht in den Scheiben, um die im Sommer die Blumen leuchten.
Hinter einem Fenster hängt die Nachbildung der alten Tobelbachmühle, von Künstlerhand
in Glas gemalt, und gar oft kann man davor einen recht alt gewordenen,
silberhaarigen Herrn mit seinem geblümten «Biremässli» auf dem schön
geschnittenen Kopf stehen sehen. Der alte Herr ist in tiefes Nachdenken versunken.
Manchmal kann es vorkommen, dass der greise Dorfpfarrer zu
ihm auf Besuch kommt.
Der gleiche Pfarrer, mit dem er einst eines ziemlich
harmlosen Aberglaubens halber im Streite gelegen, damals, als noch der Jähzorn aus
seinen Augen springen konnte und brandrotes Haar gleich einer Feuersbrunst um
seinen Kopf wehte.
Dann sitzen die zwei Alten, die mit sich und der Welt Frieden
gemacht haben, vor dem Hause des Müllers Nepomuk auf einer grüngestrichenen
Bank, hinter der der gewaltige Felsblock, mein einstiger Luginsland im Tobelhachtal,
aufragt, Überbuscht von einem rätseihaft dunklen, malerisch gekrümmten Wacholderbaum.
Aus dem aber hat sich schon man eher der vorbeiziehenden Fuhrleute einen Peitschenstiel
herausgeschnitten, denn es heisst, seit Nepomuk zurückgekehrt ist, dass man mit
dem Fitzen und Knallen einer derartigen Peitsche das Glück und das Gedeihen in
Habe und Haus banne. Der Pfarrer lächelt ungläubig dazu, obwohl ihm Nepomuk
eine silberbeschlagene Wacholderpfeife als Versöhnungspfeife anbot, aus der es
sich ganz wundervoll in die goldene Sonne qualmen lässt.